Drama-Fate – für (noch) mehr Charakterspiel in Fate

„There are only two tragedies in life. One is not getting what you want, the other is getting it.“

– Lord of War, Yuri Orlov

 

Es gibt gute Gründe dafür, dass Battlestar Galactica erfolgreicher war als Raumschiff Enterprise. Interessante Serien zeigen ihre Figuren nicht nur im Konflikt mit externen Herausforderungen (z. B. Gegner, Kriminalfälle, Naturkatastrophen), sondern auch in Konflikten miteinander. Die Figuren erreichen nicht nur praktische Ziele, sie haben auch eine interessante Gruppendynamik.

Der berühmte Rollenspielautor Robin D. Laws (bekannt für sein Konzept der sieben Spielertypen) übertrug dieses Konzept ins Rollenspiel. Demnach lassen sich die meisten Szenen in zwei Sorten unterteilen:

In prozeduralen Szenen versuchen die Charaktere ein praktisches Ziel zu erreichen – den Drachen bezwingen, die Mauer überwinden, den Hinweis am Tatort finden…

In dramatischen Szenen geht es dagegen um Zwischenmenschliches. Auch hier werden Ziele verfolgt, aber es sind eben interpersonelle Absichten – die Vergebung der Schwester erlangen, das Herz des Verehrten erobern, den Freund dazu überreden, das Trinken aufzugeben…

Die meisten Rollenspiele sind klar auf prozedurale Handlungen ausgelegt. Dramatische Szenen können sich zwar auch ergeben, sind aber wenig mit Regeln unterfüttert und die Charaktererschaffung ist ebenfalls nicht darauf zugeschnitten, dramatische Beziehungsgeflechte entstehen zu lassen.

Fate selbst ist mit seinen Regeln für soziale Konflikte ein wenig in die dramatische Richtung gestaltet, könnte aber noch deutlich ausgebaut werden, wenn man Lust auf mehr Charakterspiel hat.

Zum Glück hat uns Robin D. Laws direkt ein großes Vorbild geschaffen: Hillfolk. Das ist ein Rollenspiel, welches sich primär um dramatische Szenen dreht. Sein Regelkern heißt nicht umsonst Drama System.

Hillfolk ist absolut brillant (es bekam völlig verdient den Diana Jones Award for Excellence in Gaming), aber es hat auch einen Nachteil: Es ist schon ziemlich indie und viele Rollenspieler lassen sich ungern darauf ein.

Deshalb stelle ich hier Drama-Fate vor – den Hybrid aus Drama System und Fate. Mit ein paar Kniffen in der gemeinsamen Charaktererschaffung und einer Zusatzregel kann man direkt viel mehr dramatisches Charakterspiel in seine Fate-Runde bringen.

 

Gemeinsame Charakterschaffung

Bevor ihr euch an die gemeinsame Charaktererschaffung macht, müsst ihr euch erst einmal auf einen Handlungsrahmen einigen – Spielwelt, Ort, Szenario usw.

Das könnt ihr mit der gemeinsamen Welterschaffung von Fate Core tun. Dieser Aufwand ist aber nicht zwangsläufig nötig. Je nachdem, wie viel Raum das Charakterspiel einnehmen soll, ist ein ausgearbeiteter Rahmen vielleicht gar nicht nötig. Ein simples Konzept kann völlig ausreichen. Oft reicht sogar ein einziger Satz oder das Verwenden einer bekannten Filmwelt. Beispielsweise:

1) Wir spielen Kreuzritter auf dem Weg nach Jerusalem.

2) Wir spielen Mitglieder eine ziehenden Roma-Familie Ende des 19. Jahrhunderts.

3) Willkommen in Shanghai, Hauptstadt Chinas, autonome Provinz des Römischen Reiches. Der lokale Senat ist ein Ort voller langer Messer.

4) Wir spielen die Brückenmannschaft des Föderationsraumschiffs USS Roger Bacon.

5) Auch vor Neo passierten spannende Dinge in der Matrix.

 

Die Charaktererschaffung läuft dann nicht in Phasen ab, sondern ihr entwickelt gemeinsam Charakterideen und deren Verknüpfungen untereinander. Dabei ergeben sich auch viele Ansätze für Charakteraspekte, die ihr vorläufig auf einem Zettel notieren solltet. Erst am Ende legt ihr die Aspekte genau fest, weil diese sich im Prozess immer wieder ändern und verfeinern können.

 

Die Charakterschaffung nach Drama-Fate gliedert sich dabei in neun Schritte (keine Angst, die meisten Schritte sind sehr kurz und schnell abgehandelt):

 

1) Als erstes legt ihr zufällig eine Reihenfolge der Spieler fest – bspw. indem ihr eure Namen auf Karteikarten schreibt und mischt. Wer die Fate-Karten verwendet, der kann auch einfach jedem Spieler eine spezifische Karte heraussuchen (z. B. dem Spieler direkt zur Linken der Spielleitung eine ±0, dem nächsten eine +1…).

 

2) Dann entwickelt ihr Figuren und Beziehungen.

Der erste Spieler in der Reihenfolge legt fest, wie sein Charakter heißt und was die Rolle seines SCs in der Gruppe sein wird (z. B. Erich ist der Arzt des Dorfes). Diese Rolle sollte später auch in das Konzept des SCs übertragen werden.

Der zweite Spieler legt fest, wie sein Charakter heißt und was die Rolle seines SCs in der Gruppe sein wird. Dann erklärt er, welche Beziehung sein Charakter zu SC #1 hat. (Z. B. Ich bin die Müllerin Frieda und die Schwester des Arztes Erich.)

Wenn ein Spieler eine Beziehung etablieren möchte, dann hat der betroffene Spieler natürlich ein Veto-Recht. Meistens lässt sich eine Verhandlungslösung finden, im Zweifelsfall kann der Betroffene natürlich strikt ablehnen. (Möchte bspw. ein Spieler den Ehemann der Müllerin spielen, dann muss deren Spieler das nicht hinnehmen, wenn er es nicht will. Man sucht dann nach einer Einigung. Vielleicht sind die beiden SCs geschieden oder es handelt sich nur um unerwiderte Liebe.)

Der dritte Spieler legt fest, wie sein Charakter heißt und was die Rolle seines SCs in der Gruppe sein wird. Dann erklärt er, welche Beziehung sein Charakter zu SC #1 und SC #2 hat. (Z. B. Ich bin Tim, der beste Freund von Frieda. Ich kann Erich nicht ausstehen, weil der ach so gebildete Schnösel mir zu intellektuell ist.)

So geht das Spiel immer weiter, bis alle Figuren etabliert sind, und mit ihnen auch alle Beziehungen. (Der letzte Spieler n, beschreibt die Verknüpfungen zwischen seinem SC und den n-1 anderen SCs.)

 

3) Ihr legt eine neue Reihenfolge fest.

 

4) Der Reihe nach bestimmt jeder Spieler, was das wichtigste Bedürfnis seines Charakters ist. Mit dem Bedürfnis ist nicht etwa ein praktisches Ziel gemein, sondern das Verlangen, welches dahintersteckt. (Will jemand bspw. der neue Konsul werden, dann ist das Bedürfnis dahinter vielleicht Macht oder Anerkennung von seinem Vater.)

Klassische Bedürfnisse wären Dinge wie Liebe, Anerkennung, Freundschaft, Respekt, Macht, Sicherheit, Rache.

Das wichtigste Bedürfnis eines Charakters kann später zu einem Aspekt werden, muss es aber nicht. Es kann sich auch gut in einen anderen Aspekt eingliedern, vor allem Konzept oder Dilemma. (Z. B. Konzept: Pirat auf der Suche nach der großen Liebe, Dilemma: Ich will Respekt trotz Querschnittslähmung!)

 

5) Dann legt ihr wieder eine neue Reihenfolge fest.

 

6) Dieser neuen Reihe nach darf jeder Spieler die zwei Seelen seines Charakters aussuchen. Interessante Figuren sind häufig zwischen zwei Polen hin- und hergezogen – zwei Seelen wohnen ach in ihrer Brust. (Mein Land oder meine Familie?, Vertrauen gut oder Kontrolle besser?, Bruce Wayne oder Batman?)

In diesem Schritt können die Spieler einen Aspekt wählen der ihre zwei Seelen zum Ausdruck bringt. Das ist optional. Nicht alle SCs müssen zwei Seelen haben, aber es bereichert das Spiel, wenn es mindestens ein oder zwei Figuren gibt, die zwei widersprüchliche Verlangen jonglieren müssen.

 

7) Wenn sollte es überraschen, es ist Zeit für eine neue Reihenfolge. Keine Sorge, es wird die letzte sein.

 

8) Jetzt kommt der Teil der Charaktererschaffung, der die dramatische Konstellation zementiert: Im achten Schritt dreht sich alles um Verlangen und Ablehnung. Der Reihe nach erklärt jeder Spieler, was seine Figur von einer beliebigen anderen Figur möchte. Das kann kein einfaches, praktisches Ziel sein, sondern muss irgendein emotionales oder zwischenmenschliches Verlangen sein. (Z. B.: Ich möchte, dass meine Schwester mir vergibt, dass ihr Kind verstarb, als ich es damals als Wache nicht schaffte, die Angreifer zurückzuschlagen.)

Weil der Spieler damit wieder Aussagen über den Charakter eines Mitspielers trifft, hat besagter Mitspieler natürlich wieder Veto- und Verhandlungsrecht.

Es kommt aber kein Drama auf, wenn Charaktere einfach bekommen, was sie wollen. Deshalb kommt sofort die Ablehnung: Direkt nachdem Spieler A erklärt hat, was sein SC vom SC von Spieler B möchte, erklärt Spieler B, warum er das nicht haben kann. (Um das Beispiel von eben wieder aufzugreifen: Du hattest geschworen, die Kinder mit deinem Leben zu schützen. Du bist ein Eidbrecher. Schlimmer noch, wäre mein Sohn wenigstens sofort gestorben. Aber als ich ihn sah… Rao, er war so verletzt, hatte solche Schmerzen. Ich musste mein eigenes Kind mit dem Gnadenstoß erlösen, weil du deine Pflicht nicht tatst. Wie könnte ich das je vergeben?!)

Dieser achte Schritt wird in der aktuellen Reihenfolge immer wieder durchgegangen, bis jeder Spielercharakter das Ziel von mindestens einem Verlangen ist. Die Spielleitung kann hier ein wenig dirigieren, damit nicht alle Verlangen an nur einen oder zwei SCs gehen usw. Die Zahl der Verlangen pro SC muss nicht für alle Spielerfiguren gleich sein, aber sie sollten sich schon halbwegs die Waage halten.

Danach empfiehlt es sich, dass für jeden Charakter mindestens ein Verlangen oder eine Ablehnung in einen Aspekt umgewandelt wird.

 

9) Jetzt da man praktisch alles Wichtige über die Charaktere und ihre Beziehungen etabliert hat, wandelt jeder Spieler diese Ideen in einen regelkonformen Charakter um und schreibt ihn nieder – legt Aspekte fest, bestimmt Fertigkeitswerte, wählt Stunts…

 

Die ganze Charaktererschaffung noch einmal als kurze Liste:

 

1) Reihenfolge 2) Figuren und Beziehungen
3) Reihenfolge 4) wichtigstes Bedürfnis
5) Reihenfolge 6) zwei Seelen (optional)
7) Reihenfolge 8) Verlangen und Ablehnung
9) Aufschreiben  

 

Dramatische Szenen

Diese Gruppenkonstellationen erzeugen schon von selbst jede Menge Charakterspiel und interpersonelles Drama. Man kann es aber noch etwas mehr fördern, mit einer kleinen Belohnung.

Wenn man nach einer Szene feststellt, dass es sich um eine dramatische Szene handelte, dann gibt es einen Fate-Punkt zu verschenken. Dramatischen Szenen erkennt man oft daran, dass Verlangen und Ablehnung eine Rolle spielen, dass soziale Konflikte vorkommen, oder dass Spielercharaktere häufig die Aspekte anderer SCs gegen diese einsetzen.

In einer dramatischen Szene gibt es meistens einen Bittsteller und einen Gewährer. Der Bittsteller möchte ein emotionales Ziel erreichen und der Gewährer kann dieses entweder gestatten oder ablehnen. (Z. B. der Sohn (Bittsteller) möchte den Respekt des Vaters (Gewährer) erlangen.)

Für gewöhnlich ist ziemlich klar, wer Bittsteller und wer Gewährer war. Im Zweifelsfall urteilt die Spielleitung. In manchen Szenen gibt es auch mehrere Bittsteller und Gewährer, aber meistens überwiegt ein Paar deutlich.

Dann ist die Frage, ob der Gewährer dem Bittsteller nennenswert entgegen kam. Er muss ihm nicht alles geben, was der Bittsteller sich erhofft, aber er muss ihm schon ein relevantes Zugeständnis machen, damit es zählt. Das Urteil, ob er zufriedengestellt wurde, trifft meistens der Spieler des Bittstellers.

Bekam der Bittsteller ein relevantes Zugeständnis, so erhält der Gewährer einen Fate-Punkt. Wurde es dagegen verwehrt, so geht der Fate-Punkt an den Bittsteller.

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