Tianxia #25: Samurai – Tenka – Der Weg des Kriegers

Im Artikel „Wuxia trifft Chanbara” habe ich schon die Unterschiede betrachtet, die offensichtlich werden, wenn Xia und Samurai sich in den Kampf stürzen. Aber wie sie kämpfen ist längst nicht so wichtig wie die Frage: Wofür kämpfen sie eigentlich? Oder besser: Woran glauben sie. Denn auch da sind Xia und Samurai oftmals über kreuz.

 

Ein Wuxia-Held ist vor allem seinem eigenen Gewissen verpflichtet. Viele Helden chinesischer Kampfkunstgeschichten reisen ungebunden umher, stellen sich ohne zu Zögern offiziellen Autoritäten entgegen und suchen die persönliche Selbstverwirklichung.

 

Im japanischen Samurai-Genre haben diesen Luxus eigentlich nur die Ronin – und die haben mangels geregeltem Einkommen ganz andere Probleme. Zugegeben, Ronin sind in aller Regel die Protagonisten in Chanbara-Geschichten, einfach weil sie letztlich auf niemanden hören müssen. Der Löwenanteil der Samurai ist aber seinem Lehnsherren, dem Daimyo, verpflichtet, der von ihm unbedingten Gehorsam erwartet. Chanbara-Helden sind daher häufig viel stärker in die Gesellschaft und Politik eingebunden als Wuxia-Helden. Selbst die ach so freiheitlichen Ronin sind von ihrer früheren Rolle im Schwertadel des Shoguns stark geprägt. Sich offen gegen offizielle Machthaber zu stellen – das führt den Samurai geradewegs in den moralischen Konflikt.

Der Bushido

Im Zentrum dieses autoritätsgläubigen Selbstverständnis vieler Samurai steht der Bushido. Von Kindesbeinen an wurden Mitglieder von Samurai-Klans in diesem ihnen ureigenen Moral- und Kriegerkodex geschult. „Ureigen” bedeutet dabei vor allem  „aus den Lehren der vorherrschenden Philosophien im mittelalterlichen Japan zusammengeklebt”:

 

  • Buddhismus (Bescheidenheit, innere Ruhe, Abgekoppeltheit von materiellen Dingen)
  • Shintōismus (Verehrung der Ahnen, Selbstkenntnis, Patriotismus)
  • Konfuzianismus (Gehorsam und Loyalität gegenüber Autoritäten)

 

Tatsächlich hätte die Erwähnung des Wortes Bushido, das wir heute untrennbar mit den Samurai verbinden, in der Edo-Zeit wahrscheinlich nur Fragezeichen auf die Gesichter der japanischen Krieger gezaubert – die waren nämlich alle beinharte Anhänger des Konfuzius. Die Verbreitung des Begriffs verdanken wir tatsächlich dem japanischen Wissenschaftler und Autor Nitobe Inazo. In seinem Buch „Bushido: Die Seele Japans” von 1900 setzte er den Begriff in Japan und in Übersee durch. Nitobe gehörte zum Nambu-Klan, war also selbst in eine Samurai-Familie geboren worden. Es heißt, er habe das Wort Bushido selbst erdacht, tatsächlich weisen Quellen es aber schon in der Tokugawa-Periode im 17. Jahrhundert nach.

 

Und hier kommt die Ironie: Unter der Herrschaft von Shogun Tokugawa endeten die inneren Konflikte und Kriege, die Japan zuvor geplagt hatten. Seine Zeit war eine Zeit des relativen Friedens, in der die Samurai nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern vor allem in den Amtsstuben als Verwalter und Repräsentanten gefragt waren. Der Begriff Bushido kam also auf, als man die Loyalität der Samurai zum Shogun und seinen Daimyo im Staatsapparat untermauern musste. In den Schulen der Samurai standen plötzlich also nicht mehr ausschließlich Budo (noch ein Begriff für „Weg des Kriegers”, der für die japanischen Kampfkünste steht), sondern auch Literatur, Philosophie, Geschichte und Kalligraphie auf dem Lehrplan.

Samurai und der Tod

Mit einem martialischen Kriegerkodex aufgezogen zu werden, aber dann doch nur mit Pinsel und Reispapier zu kämpfen”, das trieb natürlich viele Samurai um. Anfang des 18. Jahrhunderts machte der Samurai und Zen-Mönch Tsunetomo Yamamoto seinem Ärger Luft. Es entstand das Hagakure (dt. Hinter den Blättern” oder Von Blättern versteckt”), eine Sammlung aus ca. 1 300 Lektionen, Aphorismen und Geschichten, in denen der Kriegergeist der Samurai beschworen und die Tokugawa-Zeit als dekadent verachtet wird.

 

Tsunetomo sah den Weg des Samurai vor allem als den Weg des Sterbens und beschreibt die freiwillige Aufgabe des eigenen Lebens für den Fürsten als die wichtigste Tugend der Samurai. Er formuliert es so:

 

„Jeden Tag […] sollte man darüber meditieren, wie man durch Pfeile, Gewehre, Speere und Schwerter zerrissen, von brandenden Wogen hinfort gespült, in ein loderndes Feuer geworfen oder vom Blitz getroffen werden kann, wie man bei einem Erdbeben zu Tode kommen, von einer tausend Fuß hohen Klippe stürzen, an einer Krankheit sterben oder über den Tod seines Herren Sepukku begehen kann. Und an jedem Tag, ohne Ausnahme, sollte man sich als tot betrachten. Darin liegt das Wesen des Weges des Samurai.”

Ganz so schonungslos brauchen wir es für eine locker-flockige Rollenspielrunde natürlich nicht. Trotzdem ist es für einen Samurai-Charakter in Tianxia ein guter Anhaltspunkt dafür, warum er sich in diesen aussichtslosen Kampf mit dem Fürchterlichen Wu oder Genpatchi, dem Dämonen-Buke, stürzt. Vielleicht ist es weder Getriebenheit, noch Adrenalin-Sucht oder pathetischer Heldenmut. Vielleicht hat der Tod für den Charakter auch einfach seinen Schrecken verloren.

Seppuku

Die Todesverachtung der Samurai machte auch den gesellschaftlichen Umgang im alten Japan zu einer manchmal sehr blutigen Angelegenheit. Das eigene Leben zählte für Samurai wenig, umso mehr jedoch der eigene Leumund und das Ansehen seines Clans. Das Gesicht (jap. Mentsu) zu verlieren war daher eine Frage von Leben und Tod. Wenn er Schande auf seinen Clan lud etwa durch eine Niederlage oder Pflichtvergessenheit, endete dies im rituellen Selbstmord, dem Seppuku. Durch das Aufgeben des eigenen Lebens konnte der Samurai so seine Familie vor Schande bewahren.

 

Während des Rituals schnitt der Samurai sich unter offiziellen Zeugen den Bauch mit einem Dolch auf, um die Seele entweichen zu lassen. Dann wurde ihm von einem Sekundanten, meist einem engen Vertrauten, mit einem Schwert die Halswirbelsäule durchtrennt. Auch beim Tod seines Daimyos durfte ein Samurai den Freitod wählen, um einem Leben als Ronin zu entgehen.

 

Damit ein Seppuku aber überhaupt als solcher anerkannt wurde, durfte der Samurai weder Reaktionen von Schmerz zeigen noch von Furcht. Mitunter galt es daher bereits schon dann als Seppuku, wenn der Samurai überhaupt nach dem Dolch griff – der Sekundant holte bereits dann zum tödlichen Schlag aus. In späteren Epochen lag dort, gerade bei Kindern oder empfindlichen Samurai, daher häufiger ein Fächer oder ein Sperrstrauch-Zweig. Vor jedem Seppuku gab man dem Samurai auch mehrere Monate Zeit, sich auf seinen Selbstmord vorzubereiten. Am Tag des Rituals verfasste der Samurai dann ein Totengedicht (meist ein Haiku).

 

Ken-Geki-Stil: Seppuku nach Regeln

Gleich vorweg: Samurai, die sich selbst den Bauch aufschlitzen, sind harter Tobak und sicher nichts für ein leichtherziges Tianxia-Erlebnis – besprecht das auf jeden Fall vorher am Spieltisch, ob alle einverstanden sind. Wenn ihr dnneine grimmige Samurai-Geschichte im „Legend of the Five Rings”-Stil spielen und Seppuku auch regeltechnisch abbilden wollt, bieten sich diese Variante an.

 

Der Seppuku-Wettstreit

Seppuku ist eine Abfolge von 3 Überwinden-Würfen, die der Samurai machen muss. Statt eines Gegners, der gegen würfelt, wie bei einem Wettstreit üblich, würfelt der Charakter gegen eine statische Schwierigkeit, die mit jedem Wurf steigt. Alternativ kann auch der Offizielle, der den Seppuku beobachtet als Gegner hergenommen werden.

 

  1. Vorbereitung – Das Todesgedicht: Vor dem Seppuku hat der Charakter die Möglichkeit sich beim Schreiben des Todesgedichtes noch etwas zu fassen und in sich hinein zu horchen. Das wird als Vorteil-erschaffen-Wurf mit Empathie abgehandelt, der dann beim Seppuku eingesetzt werden kann. Poetisch versierte Spieler können den Aspekt sogar selbst wie ein Haiku verfassen. Bei Misserfolg darf die SL den Aspekt frei nutzen: Das Gedicht hat den gegenteiligen Effekt und bindet den Charakter stärker ans Leben.
  2. Erster Wurf – Den Dolch nehmen: Das Ritual beginnt, der Charakter muss nach dem Dolch greifen. Dies erfordert einen Überwinden-Wurf auf Wille (Gute Schwierigkeit, +3; Empathie als Fertigkeit des Gegners ).
  3. Zweiter Wurf – Bauchschnitt: Der Charakter sticht sich in den Bauch. Dieser Überwinden-Wurf wird mit Kraft ausgeführt (Großartige Schwierigkeit, +4; Wahrnehmung als Fertigkeit des Gegners ).
  4. Dritter Wurf – Kopf neigen: Der Charakter senkt das Haupt, um dem Sekundanten die Möglichkeit zum finalen Schlag zu geben. Er haucht seine Seele aus und schließt mit dem Leben ab. Dieser Überwinden-Wurf geht auf Chi (Großartige Schwierigkeit, +4; Empathie als Fertigkeit des Gegners ).

 

Der Spieler muss mehr Siegpunkte erlangen, als der SL. Ein gelungener Wurf bei den Würfen 2 bis 4 gewährt 1 Siegpunkt. Bei einem Vollen Erfolg kann er sogar 2 Siegpunkte einstreichen (vgl. Fate Core, S. 159). Bei Misserfolgen zögert der Charakter oder hat emotionale Ausbrüche, wodurch sein Seppuku nicht so sauber anerkannt wird.

 

Gelingt der Seppuku, ist die Schande des Charakters beglichen (siehe dazu auch meinen Artikel „Ninjo vs. Giri”, der bald erscheint). Alternativ kann Seppuku auch mit einem einzelnen Überwinden-Wurf abgehandelt werden.

Die Werte der Samurai

Wir haben gerade gesehen, was einem Samurai blüht, wenn er sich von den Wertvorstellungen des Bushido abwendet. Was aber sind diese Werte, denen sich die Samurai laut ihrem Kodex verpflichtet fühlen? Da gibt es in historischen Quellen unterschiedliche Sichtweisen. Nitobe Inazo stellt in seinem Buch zum Bushido die folgenden 8 Tugenden aus. Mit ihnen lässt sich im Rollenspiel gut arbeiten.

 

Gi (義): Geradlinigkeit: Samurai tun das, was sie tun, mit voller Überzeugung. Er lehnt Falschheit und Tücke ab. Er entscheidet sich nach rationalen Gesichtspunkten für einen Kurs und bleibt dabei.

 

Yu (勇): Mut: Samurai stürzen sich nicht Hals über Kopf in unnötige Risiken, doch sie akzeptieren den Tod und leben das Leben in all seiner Fülle. Mutige Samurai sind auch ruhig und gelassen und kennen ihre innere Mitte.

 

Jin (仁): Mildtätigkeit: Samurai sind hilfsbereit. Ihre besondere Stellung und ihr heroisches Können setzt sie in die Pflicht, den Schwächeren zu helfen. Dieses Gefühl ist stark verbunden mit Kunst und Musik.

 

Rei (礼): Höflichkeit: Samurai kennen ihren Platz in der Gesellschaft. Sie verhalten sich höflich im Umgang mit anderen ihrer Kaste. Zu prahlen steht ihnen nicht zu. Zurückhaltung und die Kontrolle der eigenen Emotionen sind wichtiger.

 

Makoto (誠): Wahrhaftigkeit: Samurai sind aufrichtig. Wenn sie verkünden, dass sie etwas tun, dann ist es so gut wie getan. Sie müssen nichts beteuern, sondern sie sprechen durch ihre Taten. Die Lüge sehen sie als Schwäche.

 

Meiyo (名誉): Ehre: Samurai sind Ehre und Charakterstärke wichtiger als ihr Leben. Ihre Handlungen reflektieren auch auf ihre Familie und ihren Samurai-Clan, denen sie keine Schande bereiten dürfen.

 

Chūgi (忠義): Loyalität: Samurai sind ihrem Daimyo, und ihrem Kaiser oder Shogun zu unbedingter Treue verpflichtet. Ein herrenloser Samurai, ein Ronin, zu werden, verdammt einen von ihnen zu einem einsamen Schicksal.

 

Jisei (自制): Selbstkontrolle: Samurai haben einen starken Willen und lassen sich von nichts von ihrem gewählten Pfad abbringen.Sie sind ein Muster an Zurückhaltung und Ausdauer.

 

Soweit allerdings nur die Theorie.

 

In der Praxis ist die Sache nicht so einfach. Das geht schon damit los, dass die genannten Tugenden während der japanischen Historie immer wieder neu gedeutet wurden. Viele Experten gehen davon aus, dass Nitobe Inazo seinen Bushido ordentlich idealisiert und romantisiert hat. In anderen Epochen sind sie sicherlich viel bodenständiger interpretiert worden.

 

Ken-Geki-Stil: Samuraitugenden als Methoden?

Die Methoden in Turbo-Fate funktionieren ja prinzipiell schon ganz gut. Wenn ihr sie mehr an die Samurai-Tugenden des Bushido angleichen wollt, dann zeigt sich, dass bestimmte Tugenden sich gut mit bestimmten Tugenden verbinden lassen.

 

Kraftvoll – Mut, Geradlinigkeit

Schnell – Mut, Geradlinigkeit

Sorgfältig – Mildtätigkeit, Selbstkontrolle, Höflichkeit

Scharfsinnig – Selbstkontrolle, Wahrhaftigkeit

Tollkühn – Mut, Ehre, Höflichkeit, Loyalität

Tückisch – Gar keine… das ist nun wirklich unter der Würde eines Samurai… oder etwa doch nicht?

 

Als Ersatz für die Methoden halten sie doch nicht so recht her (habe ich mich wohl etwas weit aus dem Fenster gelehnt, im Einleitungsartikel). Wenn ihr das Idealbild eines Samurai in eigens dafür erstellte Methoden gießen wollt, habe ich hier einen Vorschlag (in Klammern jeweils die beigeordneten Tugenden und Methoden).

 

Körper (= Geradlinigkeit, Kraftvoll)

Alles, was man mit Kraft, Gewalt und Ausdauer anrichtet, nutzt die Methode Körper. Auch brutale und grobschlächtige Angriffe fallen darunter. Bestimmt die Stressleiste, wenn höher als Name.

O C A

 

Hand (= Geradlinigkeit, Schnell, Sorgfältig, Höflichkeit)

Wenn es auf Feinmanipulation, Kunstfertigkeit und Präzision ankommt, ist Hand die Methode der Wahl. Auch Verteidigen tut ein Charakter mit dieser Methode.

O C D

 

Herz (= Mut, Mitgefühl, Sorgfältig, Tollkühn)

Willensentscheidungen, Empathie und Muse sind Sache des Herzens. Und um im Angesicht eines schrecklichen Gegners nicht zu verzagen, benötigt man ebenfalls ein starkes Herz.

O C D

 

Geist (= Selbstkontrolle, Scharfsinnig)

Rationale Entscheidungen trifft der Geist und diese Methode verwaltet auch die Erinnerungen, löst die Rätsel und führt die hitzigen Wortgefechte.

O C A

 

Name (Ehre, Loyalität, Höflichkeit, Tollkühn)

Der Name eines Samurai und damit sein Gesicht, sein Leumund und seine Ehre, sind einem Samurai enorm wichtig. Er kann ihn in sozialen Situationen geltend machen und sich auf die Tugenden der Samurai besinnen. Bestimmt die Stressleiste, wenn höher als Körper.

O C D

 

Schatten (Heimtückisch)

Diese Methode umfasst all das, was der Samurai bei sich nicht sehen will, was aber dennoch Teil des menschlichen Seins ist: Heimtücke, Lüge, Hinterhalt und Winkelzüge.

O C A

 

Diese Tugenden zu verwenden erzeugt natürlich ein gänzlich anderes Spielgefühl als Turbo-Tianxia und ist nicht wirklich damit kompatibel. Es ist auf reine Samurai-Geschichten ausgelegt.

Sich mit dem Hagakure oder auch Miyamoto Musashis Buch der Fünf Ringe zu beschäftigen, ist für jeden Spieler eines Samurais lohnenswert, um dem Charakter ein bisschen Farbe zu geben. Aber Vorsicht: Seinen Samurai zum tugendhaften Supermann zu machen, geht schon etwas gegen des Strich des Chanbara-Genres. Und auch der historische Samurai war natürlich nicht in allem höflich, mildtätig, ehrlich oder geradlinig, sondern wohl hauptsächlich eins: Menschlich. Es ist das Hadern mit dem Bushido, die einer Geschichte die richtige Würze gibt.

 


Tenka, die grobe Übersetzung für Tianxia ins japanische.
Tenka ist die Überschrift einer Artikelreihe die sich mit dem Gedanken befasst die Tianxia-Regeln für japanisch inspirierte Hintergrundwelten zu nutzen.
Wer an Legends of the Five Rings mit Fate Regeln denkt ist hier also goldrichtig.
Hier findest du alle früheren Blog-Artikel zu Tianxia und hier alle zur Themenserie Tenka.

 


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