Lichtbringer adaptiert das Harry-Potter-Universum (1)

In den folgenden drei Artikeln stelle ich meine Überlegungen einer Adaption des Potterverse mit dem Fate Core-Rollenspiel (Turbo-Fate) vor

1. Erste Überlegungen und Mechanik

500 Millionen verkaufte Bücher, Übersetzungen in 73 Sprachen, direkte Umsetzung zu acht Filmen, weitere Filme inspiriert – das ist die beeindruckende Bilanz des fantastischen Universums, das J. K. Rowling erschaffen hat. Ob man persönlich die Bücher mag oder nicht (ich selbst bin Fan), schon die enorme Anzahl an Kindern und Jugendlichen, die sie zum Lesen brachte, ist lobenswert.

Umso trauriger ist es dann, dass es kein offizielles HP-Rollenspiel gibt, das einen ähnlichen Sog in unser Hobby bewirken könnte. Unzählige Neulinge könnten mit diesem Mittel die drei Heiligtümer des Rollenspiels empfangen und dem Orden des phoenixhaften Abenteuers beitreten.

Natürlich gibt es bei einem so beliebten Universum mehrere Fanumsetzungen. Dieser Artikel wird sich darin einreihen, sieht sich aber trotzdem ganz selbstbewusst als bessere Lösung.

Denn ich halte Fate für besonders gut geeignet, um das Besondere Pottergefühl abzubilden. Wie die Romane legt es einen starken Fokus auf interessante Charaktere, wogegen eine exakte Simulation der Mechanik der Welt in den Hintergrund rückt.

Dieser Artikel wird einerseits vorstellen, wie ich das Potterversum in Fate-Regeln fasste, und daran andererseits beispielhaft aufzeigen, wie eine erfolgreiche Adaption im Allgemeinen gelingen kann.

Einschub: Keine Rechte an nichts

Zu diesem Zeitpunkt fragen sich vielleicht einige von euch: „Darf der das?“ Die Antwort darauf ist ein klares „Jein“. Natürlich habe ich keine Rechte an der Harry-Potter-Welt, diese liegen bei J. K. Rowling bzw. Warner Bros.

Wie viele Fans im Internet mache ich keinerlei Geld mit diesem Projekt und hoffe auf Duldung dafür, das Interesse an diesem Franchise warm zu halten.

Wie kommt man zu diesem Projekt?

Auch wenn ich oben schreibe, wie sinnvoll ich ein Harry-Potter-Rollenspiel fände, war diese strategische Überlegung nicht der Grund für mein Bestreben. Ich kam zum Potter-Rollenspiel eher wie die Jungfrau zum Kinde.

Ich schrieb vor einer Weile einen Aufsatz für das Ulisses-Crowdfunding dazu, wie wichtig interne Konsistenz für eine funktionierende Rollenspielwelt ist. Dabei verwendete ich das Potterversum als Negativbeispiel für eine Welt, die eben nicht sonderlich konsistent gehalten ist und daher ziemliche Herausforderungen an die Adaption stellen (dazu später mehr).

Als ich meiner Runde davon erzählte, erwähnte ich auch in einem Nebensatz, dass einer der Beispielcharaktere im Turbo-Fate-Regelwerk recht offensichtlich auf einem Hogwarts-Abklatsch zur Schule geht. Damit war die Sache für mich durch.

Einen Monat später fragten mich meine Spieler, wann ich denn nun Harry-Potter-Fate leiten würde. Es war somit offenbar auf eine Nachfrage gestoßen.

Also setzte ich mich hin und nahm die Herausforderung an. Hier nun das Resultat.

Hilfreiche Inspirationsquellen

Wenn man ein Medium adaptieren will, sollte man es kennen. Aber oft reicht die Lektüre (oder das Anschauen) des Werkes selbst nicht ganz aus, um neue Geschichten zu entwickeln. Schließlich schildern sie oft nur eine alte.

Im Falle vieler beliebter Welten gibt es da ein zweischneidiges Schwert: Fanfiction.

Fanfiction, also von Fans geschriebene Fiktion, die in der Welt spielt oder mit ihr spielt, kann viele neue Ideen bringen. Das Problem dahinter ist, dass 99 % aller Fanfiction wirklich schlecht und qualvoll zu lesen ist. Insofern ist es mit etwas Aufwand verbunden, die guten Ausnahmen zu finden.

Um euch diese Mühen zu ersparen, hier vier Vorschläge von (englischsprachiger) HP-Fanfiction, die sich tatsächlich zu lesen lohnen:

Harry Potter and the Methods of Rationality (www.hpmor.com) – eine wahnsinnig intelligente und raffinierte Geschichte, in der Harry ein Wunderkind ist und als Sohn eines Wissenschaftlers aufwuchs. Vermutliche einer der zehn besten Texte, die ich je las, und sogar noch besser als die Original-Bücher. Ich bin nicht der Einzige, der den Text liebt. Unter www.hpmorpodcast.com wurde das gesamte Teil von begeisterten Fans als kostenloses Hörbuch eingesprochen.

Die Albus-Potter-Reihe (https://www.fanfiction.net/u/1619871/Vekin87) – hat Harry Sohn zur Hauptfigur. Der Autor kann den Schreibstil Rowlings sehr gut nachahmen.

The Arithmancer (https://www.fanfiction.net/s/10070079/1/The-Arithmancer) – eine alternative Version von HP, die aus Hermiones Sicht geschrieben ist und in einer Welt spielt, in der Granger ein absolutes Mathegenie ist. Witzig und sehr intelligent.

Harry Potter and the Natural 20 (https://www.fanfiction.net/s/8096183/1/Harry-Potter-and-the-Natural-20) – eine brüllend komische Parodie, in der ein D&D-Magier im Potterversum strandet. Sollte jeder Rollenspieler gelesen haben.

Die Sache mit der Konsistenz

Romanfiguren können dem Autor nicht widersprechen. Sie stellen auch keine kritischen Fragen und nutzen keine Regellücken aus. Deshalb kann eine Autorin willkürliche Setzungen festlegen, die die Handlung tragen oder einfach nur die Welt lebhafter machen, ohne dass sie damit später große Probleme bekäme. Beispielsweise kann sie eine Zeitmaschine für ein Buch einführen und später mal eben wieder abschaffen, ohne dass jemand sich darüber wundert oder versucht, so ein nützliches Kriegsgerät wieder herzustellen.

Im Rollenspiel geht das nicht so einfach. Spielercharaktere haben mehr Freiheiten, das ist schließlich der Sinn dieser Spielform.

Deshalb musste ich für das Potterversum einige Konsistenzkrücken erschaffen. Dies geschah zunächst abseits der Regeln. Als Ort des Geschehens wählte ich Hogwarts, weil es sehr viel leichter konsistent zu gestalten ist als die gesamte restliche Potter-Welt. Außerdem erzeugt die Tatsache, dass die SCs Schüler sind, eine Erwartungshaltung der Spieler, was es für Abenteuer geben wird und wie sich ihre Figuren verhalten sollten. Auch dadurch wird die Zahl an nötigen Absicherungen verringert.

Das führt mich zum nächsten Mittel für eine Konsistenzkrücke: Dadurch dass man Motive der Romane übernimmt, bespielt man die Spielwelt in einer Form, in der sie tragfähig ist, anstatt in jene Bereiche zu gehen, bei denen auf die Funktionalität nicht so genau geachtet wurde.

Das ist zunächst bei Handlungsmotiven der Fall (siehe weiter unten). Beispielsweise musste ich einen glaubwürdigen Ersatz für die Blutreinheits-Bewegung finden. Fate bietet hier durch Kampagnen- und Weltaspekte ein wertvolles Mittel, dieses Prinzip umzusetzen.

Im Fall von Harry Potter spielen für die Motive auch die Figuren eine zentrale Rolle. Bei der Auswahl der NSCs (siehe weiter unten) war es mir wichtige, die Archetypen und Handlungsfunktionen aus den Romanen abzudecken. Beispielsweise war es wichtig, einen Schulleiter zu haben, der wohlwollend ist, aber nicht immer sofort zur Verfügung steht, wenn ein Problem besteht.

Der erste und zentrale Schritt war aber natürlich die Auswahl der Fate-Version und die Anpassung der Regeln.

Die Spielmechanik anpassen

Man kann sich das Leben unnötig kompliziert machen. Das wollte ich nach Möglichkeit vermeiden.

Prinzipiell kann man immer alles selbst erfinden. Aber ich wollte mir entweder Fate Core oder Turbo-Fate vornehmen und es an meine Bedürfnisse anpassen. (Natürlich kenne ich noch weitere Versionen von Fate, 11 um genau zu sein, aber ich finde die vierte Edition am besten.)

Die Wahl zwischen Core und Turbo fiel dabei schnell auf Turbo – weniger wegen der Einfachheit als wegen der besseren Eignung von Methoden. Die Art und Weise, wie Rowling die Handlungen ihrer Figuren vermitteln, legt ein viel größeres Gewicht auf deren Motivationen und Vorgehensweise als auf die spezifischen Mittel. Dies zeigt sich sehr deutlich daran, dass man den wichtigsten Figuren klare Methoden zuordnen kann: Draco Malfoy ist praktisch immer tückisch, Harry Potter kraftvoll oder tollkühn, Ron Weasley kraftvoll, Hermine Granger sorgfältig oder scharfsinnig usw.

Diese Eigenschaft der Harry-Potter-Geschichten trifft sich sehr gut, denn sie löst uns gleich noch ein zweites Problem: Die Zauberei im Potterversum ist ziemlich wild, komplex und (wie erwähnt) auch oft nicht sonderlich konsistent. Deshalb ist die Frage, wie ein Charakter etwas macht, sehr viel simpler zu beantworten. Was genau er tut, kann dann durch erzählerische Mittel geregelt werden. Wenn der Gegner kraftvoll angreift, ist es regeltechnisch egal, ob er Avada Kedavra oder Sectumsempra verwendet. Auch wenn man eine Logiklücke ausnutzt, dann geht man damit eben auf eine gewisse Weise vor, die die Methoden abdecken.

Deshalb brauchte es auch kein eigenes Magiesystem, das das arkane Chaos des Potterversums abbilden müsste.

Die Frage, die sich nach dieser Entscheidung nur noch stellte, war, wie man die Tatsache abbildet, dass die Spielercharaktere Jugendliche sind – und somit noch nicht voll ausgebildet. Wir hatten uns darauf geeinigt, Drittklässler zu spielen, und die sind eben nicht die mächtigsten Leute auf Hogwarts.

Ich stellte dann die Spieler vor die Wahl, ob wir ihre SCs schwächer machen sollten oder die NSCs entsprechend mächtiger. Sie entschieden sich für die erstere Option.

Deshalb begannen wir mit Erholungsrate 3, einem Stunt für den Anfang und Methodenwerten +2/+1/+1/+0/+0/-1. Da Jugendliche auch noch keine fertig geformten Personen sind, gibt es zu Beginn auch nur drei Aspekte pro Person.

Natürlich lernen und entwickeln sich Jugendliche auch schneller als Erwachsene. Insofern sind im weiteren Spielverlauf etwas häufiger Meilensteine fällig. Bei einem bedeutenden oder großen Meilenstein darf ein vierter bzw. fünfter Aspekt hinzugefügt werden.

Nach diesen grundlegenden Überlegungen werde ich im nächsten Teil vorstellen, welche Motive und Figuren ich für eine Kampagne im Hogwarts des Jahres 2015 erschaffen habe und welche Aspekte dazu gehören.

 

 Die verwendete Schriftart ist Harry P von Phoenix Phonts.
Das Hogwarts-Wappen wurde von Jakovche auf Wiki Commons veröffentlicht.
Die Schrift ist als gemeinfrei und das Wappen als für nichtkommerzielle Nutzung frei (Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported) angegeben – in dem Maße, in dem dies sinnvolle Angaben sind für Werke, die (wie das Charakterblatt) auf Duldung durch die eigentlichen Urheber hoffen.
Das Artikelbild zeigt eine Illustration von Andette on DeviantArtDie Rechte für Harry Potter liegen bei J. K. Rowling bzw. Warner Bros.

Turbo-Fate Harry-Potter

Download Turbo-Fate Harry-Potter

Der Charakterbogen für die Turbo-Fate Harry Potter Konversion von Lichtbringer.
Teil #1, #2, #3

Turbo-Fate_Harry-Potter.pdf1.0
Sprachen:Deutsch
Anforderungen:PDF Reader
Kategorie:Fanmaterial
Datum:30. November 2016

You may also like

4 comments

Kommentar verfassen